Rede zur Eröffnung der Ausstellung in der KSK Spaichingen.
Andreas Zoller, Kustos der Kunststiftung Hohenkarpfen
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,
Als ich letzten Herbst gefragt wurde, ob ich zu der heutigen Eröffnung die einführenden Worte sprechen wolle, habe ich gerne zugesagt. Natürlich fühlt man sich geschmeichelt, als fast zwei Generationen jüngerer angesprochen zu werden. Der wahre Grund aber, warum ich heute hier stehe, ist der Respekt von dem Künstlerehepaar – ihrer Persönlichkeit und ihrer Künstlerischen Arbeit – .
Bereits vor fünf Jahren, als ich auf dem Hohen Karpfen mit meiner Tätigkeit begann, lernte ich dort Iris und Werner von Boltenstern näher kennen. Vor kurzem waren sie von Stuttgart nach Trossingen gezogen, dem Heimatort des Vaters von Iris von Boltenstern. Bei den Gesprächen im Kunstmuseum erlebte ich ihrer beider ungebrochene Aufgeschlossenheit und Neugier: ihr Leben für und mit der Kunst. Dabei versteckt sich die wahre Tiefe hinter einer unspektakulären Selbstverständlichkeit, die keine Extravaganzen oder Exzentrik kennt, und sich erst bei näherer Beschäftigung erschliesst.
Ausgangspunkt ihres gemeinsamen Lebens ist Stuttgart, wo sich die Wege der beiden 1950 kreuzen. Iris vonBoltenstern hatte bereits in Mannheim und München bei namhaften Bildhauern studiert und traf in der Giesserwerkstatt von Herbert Heinzel an der Kunstakademie ihren späteren Mann. Dieser war bereits 1949 nach Abschluss einer Holzbildhauerlehre in Ostfriesland nach Stuttgart gekommen, um hier ein Kunststudium zu beginnen. Aus dieser Begegnung ging nicht nur eine Lebensgemeinschaft hervor, die bald durch drei Kinder bereichert wurde, sondern auch eine Künstlerpartnerschaft, die sich in idealer Weise ergänzt. Die Liebe der Frau zur russischen Literatur und Werner von Boltensterns Verbundenheit mit der Nordsee, die über drei Jahrzehnte das dänische Fanö zu einem Ferien-und künstlerischen Bezugspunkt werden liess, verbanden sich aufs beste. Hinzu kamen ähnliche Erfahrungen, die Not und der Schrecken des zweiten Weltkriegs, der Zusammenbruch, die Trümmerjahre. Das prägt Gemeinsamkeiten und so unterschiedlich die beiden künstlerischen Techniken sind, denen sich die beiden zuwandten, so sprechen aus den Kleinplastiken von Iris von Boltenstern und aus den Aquarellen von Werner von Boltenstern die gleiche Intimität, eine Sehnsucht nach Stille und Harmonie. Dies gilt es hier zu entdecken.
Bei unserem Künstlerpaar besetzt sie traditionell eher männliche Domäne der Bildhauerei. Dabei bleiben die Werke Iris von Boltensterns erfassbar, selten grösser als zwei Handspannen. Aber es sind keine intimen Handschmeichler mit glatter Oberfläche. Sobald man sich auf sie einlässt, den Blick auf sie senkt, erfährt man ihre wahre Grösse.
Ihren Charakter erhalten sie nicht unwesentlich durch die Arbeitsvorgänge ihrer Entstehung. Ausgangsstoff ist das schwärzlich-blaue Giesserwachs, spröde und hart, wenn es kalt ist, weich, formlos sobald es in der Hand schmilzt. Diesem Material kann Iris von Boltenstern die vielfältigsten Reize entlocken und prägt damit die Oberflächen ihrer Figuren auch nachdem sie durch den Giesser Heinzel in kleiner Auflage massiv in Bronze gegossen und von ihrem Mann ziseliert sind. Diese fruchtbare Arbeitsteilung hat nun bereits vier Jahrzehnte Bestand .
Die künstlerische Eigenständigkeit Iris von Boltensterns zeigt sich bereits früh.
Sie bewahrt neben Alfred Lörcher, der in den fünfziger jahren mit seinen voluminösen Plastiken internationalen Ruhm erlangte, eine bemerkenswerte Unabhängigkeit. Wohl besuchte sie zehn Jahre seinen Aktzeichenkreis, aber durch ihre Erfahrungen in Mannheim und München fand sie früh zu einer eigenen ihr gemässen Formvereinfachung.
Unter der duftigen Oberfläche spürt man die klare Konstruktion, die senkrechten, waagrechten und diagonalen Bewegungslinien. Dagegen ist das Volumen zurückgenommen, die plastische Massenform zugunsten einer belebten Bronzehaut reduziert. Und stets sind die Spuren der formenden Hand nachvollziehbar, der Schöpfungsakt gegenwärtig.
In dieser Formensprache entstehen eigenständige Geschöpfe, lesende Frauen, spielende Kinder, oft auch in der Gruppe einander zugewandt. Ihre Meisterschaft erlaubt es Herbes und Liebliches zu verbinden, den klar begrenzten Themenkreis der Frauen – und Kinderdarstellung zu durchdringen und ihren Figuren eine innere Monumentalität zu geben. Dabei gewinnen sie eine erstaunliche Ausdruckskraft voller Anmut und sanftem, atmendem Leben. Es ist ein merkwürdiges Ausgeruhtsein, das In-Sich-Ruhen, das in den zurückliegenden Jahren bei zahlreichen Besprechungen ihrer Arbeiten stets erkannt und gewürdigt wurde.
Aus der gleichen Beschränkung auf Wesentliches schöpft Werner von Boltenstern sein Werk, wobei sein künstlerisches Schaffen etwas später einsetzt. Für ihn ist 1949 die Kunsterziehreausbildung in Stuttgart Ausgangspunkt, und sein Schuldienst als Kunsterzieher an einem stuttgarter Gymnasium, der wohl manchen künstlerischen Verzicht mit sich brachte, ermöglicht die Existenz der Familie. Mit grosser Beharrlichkeit entwickelte er in den sechziger und siebziger Jahren sein kleinformatiges malerisches Werk, das eine beachtliche Eigenständigkeit besitzt .
Zu dem Zeitpunkt da die Avantgarde die Tafelmalerei tot sagte, fand Werner von Boltenstern zu seiner dunkelfarbigen Landschaftsmalerei. Die Reisen an die Nordsee und nach Russland waren Anreger und schliesslich Auslöser zu seiner zentralen Bildauffassung. Eine niedrige Horizontlinie, die waagrechte Aneinanderreihung von Bäumen und Gehöften erhalten durch feinste Farbabstufungen eine Tiefe, welche die Unendlichkeit des nordischen Himmels vermitteln. Dabei weisen die dunklen Bereiche der Farbe den Betrachter erst zurück, doch sobald er sich auf die Tonigkeit einlässt, bemerkt das Auge die Nebeltöne, eine eigene komplexe Gefühlswelt, die von diesen Werken ausgehen. Organisch sind Reiter, Spaziergänger, Tiere oft in grosser Zahl, in diese Räume aufgenommen. Doch sie lassen kein Gewimmel aufkommen. Es ist ein ruhiges Schreiten, die Lebensschilderung in einem fernen nordischen Arkadien. Die Gestalten unterstreichen die Poesie, die aus diesen melancholischen Idyllen sprechen.
Ein Blick auf die Arbeitsweise des Malers zeigt, wie er dem Primat der bildnerischen Mittel huldigt und der Schematisierung flieht. Im Atelier entstehen aus der Erinnerung lineare Bänder, die ganz aus der Farbe und der empfundenen Stimmung geboren sind. Bereits in diesen Blättern zeigt sich der Meister des Aquarells, der feinste Nuancen registriert und ein Zauber farbiger Erscheinungen zu bannen vermag. In einem zweiten Arbeitgang gelangen nun fest umrissene Gegenstände, Gehöfte, winterlich kahle Bäume, Tiere und Menschen in den Farbraum. Plötzlich erschliesst sich eine magische, abgeschlossene Bildwelt.
Bei diesen Reisen ins Innere entsteht eine ideale Gegenwelt, die nicht falsch als naive heile Welt verstanden werden darf. Wurden bis vor kurzem diese Gestaltungsversuche eher belächelt, verkürzt als rückwärtsgewandt verstanden, nehmen sich heute vermehrt die soziologischen Wissenschaften dieser verdeckten Vorstellungswelten an, die in jedem von uns schlummern. Dabei erhofft man sich nicht nur Aufschluss über Idealvorstellungen von Einzelnen oder Gruppen, sondern vermutet eine übergreifende Wunschvorstellung, die seit den Anfängen der Menschheit in uns lebt und unterbewusst weitergegeben wird.
Im Werk von Iris und Werner von Boltenstern sind diese Welten erschlossen und durch die Beschränkung auf das eigen Erlebte und Erfahrene gewinnen sie eine Tiefe, die es verdient Beachtung zu finden, erlebt und erkannt zu werden.