Rede von C. MESSNER zur VERNISSAGE :
Iris und Werner v.BOLTENSTERN
in der Kreissparkasse Trossingen am 6. Dezember 1987.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Schalterhalle der Kreissparkasse hat viel Gutes an sich : man kann hier nicht nur Geld abholen, sondern auch mit seinen Enkelkindern ein Märchen hören und sehen, wenn man müde ist ausruhen und die FAZ lesen – und man trifft in der lieben kleinen Stadt hier mit Sicherheit die Leute, die man ohnehin gerade treffen wollte. Die Schalterhalle ist also mehr als ein Verschiebebahnhof für Geld.
Und wenn sie nun heute am Sonntagmorgen sich – wieder einmal – der Kunst öffnet, Treffpunkt für Kunstliebhaber wird, dann kann man den Initiatoren für diese sinnvolle Verwendung eines so grosszügigen Raumes, nur dankbar sein.
Ich bin hier eingesprungen für einen Fachmann, und ich tat das gerne, nicht nur aus einer Freundschaft heraus, die in die Kinderzeit zurückreicht, sondern eben auch als Kunstliebhaber.
Das hat zur Folge – und ich bitte Sie um Ihre Nachsicht, verehrte Gäste – dass ich weniger fachlich, also mehr persönlich spreche.
Und dass ich zitiere.
Frau Prof.Dr. Effie Biedrzynski beschreibt die Arbeiten Iris von Boltensterns so : «Spröde und lieblich, in sich versunken, nur Gegenwart und Da-Sein sind die Figurinen und kleinen Gruppen, mit denen Iris von Boltenstern eine nur ihr eigene «Tanagrawelt» bevölkert. Die Themen sind einfach : ein Mädchen blickt in den Spiegel, ein Kind schleppt die Puppe hinter sich her, Frauen beugen sich über Körbe, Bücher, Kinder. Doch diese simplen Alltagsgesten werden mit einem Kunstverstand, einer Sensibilität vorgetragen, die spürbar durch die Schule abstrakten Sehens gegangen sind…»
Und Dieter Schorr, Kunstkritiker der Stuttgarter Nachrichten, sagt von diesen Figuren, sie seien «faszinierend in ihrer Einfachheit, die Proportionen menschlichen Wesens bannend. Jede dieser äusserlich kleinen, dank ihrer Verinnerlichung so grossen Figuren ist ein Talisman.»
Ein solcher Talisman, diese kleine Grupe hier, steht seit unserer Silberhochzeit in unserer Wohnstube – und es ist ein sehr lebendiger Talisman, der uns täglich anspricht mit seiner schlichten, aber warmen, kräftigen Aussage, die nie zur Gewohnheit wird.
Und genau dasselbe erleben wir mit den Bildern Werner von Boltensterns, den kleinen Bildern mit dem grossen Himmel . Ihr Thema heisst Landschaft, aber sie strahlen etwas aus, das weit mehr ist als etwa liebgewordene Idylle – für mich ist es sein Stück Unendlichkeit. Und auch sie verlieren nichts von ihrer Frische und ihrer verhaltenen Kraft.
Ich glaube, das ist ein untrügliches Zeichen echter Kunst :
dass sie sich nicht abnutzt – wie es etwa in der Musik einem Schlager widerfährt, nicht aber Musik von der Art, die ich im Hause von Boltenstern oft erklingen hörte, gerade auch wenn die beiden arbeiteten, so z.B.einem Streichquartett von Haydn, dem Liebhaber den Namen « Sonnenaufgang » gegeben haben, weil der Hörer bei den Anfangstakten das Erlebnis eines Sonnenaufganges empfinden kann.
Die Nähe der Bildenden Kunst zur Musik drängt sich unwillkürlich auf. Wir sprechen von Farbtönen oder vom farbenreichen Spiel eines Musikers. Der bildende Künstler komponiert in Farben und Formen. «Kammermusik in Figur und Farbe» nennt der schon erwähnte Kunstkritiker Dieter Schorr die Werke, die wir hier sehen. Diese Werke sind nie laut, lärmend, spektakulär – es sei denn,man nennt es spektakulär, eine unzerstörte Welt zu zeigen, eine Welt in der das Auge den Himmel offen sieht. Ich bemühe noch einmal Dieter Schorr: «es gibt diese Welt – allen Unkenrufen zum Trotz – noch so lange, so lange sie Einer noch zu empfinden und darzustellen vermag.»
Wenn ich noch einmal aus der Boltensternschen Werkstatt plaudern darf: es unterstreicht die soeben gehörte Charakterisierung nur, wenn ich erzähle, dass die beiden immer sehr selbstkritisch arbeiteten, oftmals eine Arbeit vernichteten. Zurückhaltung und steter Neubeginn im Wechselspiel ist es, was ich da beobachten konnte.
Ich habe als Laie nicht das Problem, diese Bilder einer Stilrichtung zuzuordnen, habe aber diese – sicher nicht unberechtigte Frage Werner von Boltenstern schon gestellt.
[...]
Sie können ja nachher weitere Fragen an die Künstler richten.
Mich überraschte es z.B. zu erfahren, dass die Bilder in der Natur nur skizziert, dann aber « aus der Erinnerung » gemalt werden.
« Aus der Erinnerung » – auch das ist so zurückhaltend gesagt, wie es der Art Werner von Boltensterns entspricht.
Aber mich führt dieser bescheidene Satz – beim Überdenken, beim Vertiefen – noch einmal hin zur Verwandtschaft dieser Malerei mit dem Reich der Töne, und zwar zu einer der schönsten Stellen, die ich aus diesem Reich kenne ; Sie steht in Joseph Haydns Oratorium « Die Schöpfung ». Es ist die Vertonung des Satzes « Und es ward Licht ».
Ob wir dieses Licht durch das Auge oder durch das Ohr aufnehmen, es ist ein inneres Schauen, man muss es er-leben.
In ergreifender Weise können wir dieses Er-leben erfahren durch den erblindeten französischen Schriftsteller Jacques Lusseyran in seinem Buch « Das wiedergefundene Licht ».
Ich möchte mit dieser Betrachtung schliessen.
Es bleibt mir noch, allen Besuchern dieser Ausstellung viel Freude zu wünschen – und den beiden Künstlern weiterhin ein Heimischwerden in unserem schönen, kunstbeflissenen Städtle.